Advent 2021
verhüllt - offenbart
ADVENTLICHE ENTHÜLLUNGEN
Stoff zum Nachdenken
Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich;
was aber unsichtbar ist, das ist ewig.
2. Kor. 4, 18
Paris zierte im Frühherbst 2021 der verhüllte Arc de Triomphe – und Meschede im Advent dieses Jahres eine verhüllte Krippe in der Mariä Himmelfahrt Kirche.
Zur Adventszeit haben Schülerinnen und Schüler der St. Walburga-Realschule die von dem Ausbildungsteam der Mariä-Himmelfahrt-Messdienerschaft gestaltete histo-rische Gemeindekrippe im Stil der künstlerischen Verhüllungsaktionen von Christo und Jeanne-Claude temporär verwandelt. Das inzwischen verstorbene Künstlerpaar ließ bekanntermaßen auch den Berliner Reichstag spektakulär verpacken. Durch ihre Um-hüllungen entzog das Paar ausgewählte Objekte, Architekturen und Landschaftsstrukturen den Blicken und ließ sie unter Stoffkaskaden symbolisch verschwinden.
Doch beim Verhüllen geschah und geschieht etwas Paradoxes: Das Verhüllte nimmt sich nicht zurück, sondern tritt betont hervor. Denn die Hülle lenkt die Aufmerksamkeit auf die Präsens, die Gegenwart des Verborgenen. Die Umhüllung sensibilisiert für dessen Wahrnehmung. Als Betrachtende erfahren wir jenseits von Vordergründigem andere Dimensionen der Wirk-lichkeit und erkennen das Substanzielle. Das ist auch der Grund, warum in transformativen Situationen und für die Inszenierung von Übergangsmomenten seit jeher verhüllt wird. Das gilt genauso für muslimische wie für christliche Bräute und auch im profanen Bereich, z. B. bei Denkmal-enthüllungen. Denn Verhüllungen schaffen Grenzen zwischen realen und spirituellen Räumen. Erst der Akt des Enthüllens öffnet beide Bereiche zueinander. Das Verhüllen hat dies als Initiation vorbereitet. Die Verhüllung schafft also eine Übergabesituation, aus der heraus etwas Neues oder etwas neu Zusehendes durch die Enthüllung sichtbar wird.
Die Hülle selbst verbirgt, verfremdet das Verhüllte, sie lässt nur Konturen des Verborgenen erahnen. Diese Transformation wird durch das umhüllende Material erzeugt, durch Faltenwürfe und Überspannungen. Bei Christos und Jeanne-Claudes künstlerischen Verhüllungen werden diese von Schnürungen fixiert, sodass Licht und Schatten ein ästhetisch spannendes Relief hervorrufen, das zu einer enträtselnden Betrachtung einlädt.
Es ist […] immer wieder interessant, Rätsel in die Welt zu setzen,
das Enträtselnwollen beim Menschen zu erwecken.
Josef Beuys
Dieses Moment des neugierig Machens und des Spannungsaufbaus steht auch hinter der Krippen-verhüllung, die sich am Beginn der Adventszeit zu Füßen des Altars als eine komplex verhüllte Gestaltung zeigt: Landschaft, Gebäude, Tiere und Figuren befinden sich an ihrem Platz, sind aber jeweils einzeln mit hellem Stoff umhüllt. Wie bei Christo und Jeanne-Claude sind die Umhüllungen keine Verpackungen, sondern sie arbeiten das je Wesentliche, das Charakteristische des ver-borgenen Kerns heraus. Sie nutzen dazu Fältelungen, Schnürungen und auch Freilassungen, also Bereiche des Nicht-Verhüllten. Und ebenfalls wie bei dem Künstlerpaar ist auch diese Krippenverhüllung nur temporär, denn Woche für Woche werden einzelne Elemente und Protagonisten der Krippengestaltung enthüllt: Zunächst Jesaja und der Verkündigungsengel, dann die Hirten und ihre Tiere, danach Maria, Josef und die drei Könige in der Landschaft und am Heiligabend der Stall und endlich auch das Jesuskind.
Mit dieser zeitlichen Begrenzung des Verhüllens korrespondiert auch deren visuelle Spurenlosigkeit: Der zunächst ästhetisch in Anspruch genommene Raum wird wieder frei gegeben und weicht dem altbekannten, idyllischen Krippenbild, das nun aber im wahren Wortsinn als Enthüllung, quasi offenbart, erlebt werden konnte.
PRESSE & ÖFFENTLICHKEIT
VERHÜLLT - OFFENBART
Adventliche Enthüllungen der St. Walburga-Realschule
Stationenweg an der Mariä Himmelfahrt Kirche, Meschede
www.erzbistum-paderborn.de
Der Dom, Ausgabe 12/2021
www.bernina-blog.com
Weihnachtskarte
St. Walburga-Realschule 2021